Lebensfreude
Ein verächtlicher Blick streift meine schweren Boots. Lange Fingernägel krallen nach einer Marlboro Light. Die Brünette schlägt lasziv die Beine übereinander. Ein mörderischer High- Heel-Absatz blitzt auf. Exotische Drinks werden bestellt. Cooler Housebeat quillt aus den Boxen. Es ist Samstag-nacht; ich bin im Uferbau.
Ein glattgegeelter Typ in Lederjacke drängelt sich vorbei; sein Aftershave macht mich besinnungslos. Ich halte mich am Bierglas fest, habe viel zu heiss in meiner dicken Jacke und suche nach einem be-kannten Gesicht. Make-up in allen Tönen, aufgebauschte Haare, schwarze Rollis… ich kenne niemanden. Auf der Treppe zum Klo stöckelt mir eine entgegen. Sie schwankt mit schmerzverzerrtem Gesicht vorbei (sieht man wegen des dicken Make-ups nicht). Highheels sind nicht zum Gehen gedacht. Die schnittigen Wagen, die sich vor dem Uferbau aneinander drängeln wie ihre Fahrer an der Bar, sind mit zwei Schritten erreichbar. Auf dem «Kofmehl»-parkplatz dagegen müsste sich die Dame von ihrem «Athena»-gestählten Freund durch knöcheltiefe Sümpfe tragen lassen, vorbei an grossen Schrottbergen, hinter denen das Ungewisse lauert, über lottrige Gitterabsperrungen und schliesslich die Löcherstahltreppe hinauf; eine Stöckelfalle mit Gelenkbruchgarantie.
Mein Spiegelbild grinst mir bei diesem Gedanken hämisch entgegen. Ich mag breite Latschen, die stundenlang mit mir abtanzen und mich danach bis ans Ende der Welt tragen, wenns sein muss. Ich ziehe mit den Zeigefingern meine Mundwinkel auseinander und strecke die Zunge heraus. Meine Daumen reissen die Augenränder runter. Der Spiegel wundert sich. Hinter mir rauscht die Klospülung. Mit schweren Schritten stampfe ich die Treppe hinab. Ich bestelle einen unaussprechbaren Drink. Langsam tun mir die Lippen weh. Die Brünette tut unbeteiligt. Das Zeug im Glas schmeckt komisch und langweilig ist mir auch. Verdammt, es ist Samstagnacht Leute! Lacht, tanzt, knutscht, freut euch des Lebens, egal wie ihr dabei ausseht!
Niemand hört mich. Die Brünette will mir ihren Lippenstift ausleihen. Ich gehe. Draussen auf der Strasse fangen meine Latschen an zu tanzen.
«Voilà» ist die wöchentliche Kolumne eines jungen Teams, das zu Solothurn frei seine Meinung äussert.